EFSA beginnt mit paneuropäischem Forschungsprojekt zum Rückgang der Bienenpopulationen
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat einem Konsortium europäischer wissenschaftlicher Institute[1], die das so genannte „Völkersterben“ (Colony Collapse Disorder, CCD[2]) von Honigbienen untersuchen, eine Finanzhilfe in Höhe von 100 000 EUR gewährt.
Das vom EFSA-Referat für Bewertungsmethodik koordinierte neunmonatige Projekt, dessen Beginn für Januar 2009 geplant ist, soll Faktoren ermitteln, die zu dem „Völkersterben“ beitragen können, und Lücken im wissenschaftlichen Kenntnisstand aufdecken, um Leitlinien für die künftige Forschung bereitzustellen. Außerdem werden die laufenden Programme für die Bienenüberwachung analysiert und auf ihre Eignung geprüft, Daten zur europaweiten Erfassung der CCD zu liefern.
Hubert Deluyker, Leiter des EFSA-Direktorats „Wissenschaftliche Zusammenarbeit und Unterstützung“, erläutert: „Dieses Projekt bedeutet einen wichtigen Fortschritt in den internationalen Bemühungen um das Verständnis und die Bekämpfung des gemeldeten Rückgangs der Bienenpopulationen, der nicht nur auf die Umwelt, sondern auch auf die Nahrungskette weitreichende Auswirkungen haben könnte.“
Er fügte hinzu: „Ich möchte die Wissenschaftler und andere Interessenträger — wie z. B. Imkerverbände — deshalb nachdrücklich ermutigen, ihre wertvollen wissenschaftlichen Daten, Kenntnisse und Erfahrungen mit den Organisatoren dieses Projektes auszutauschen“.
Honigbienen spielen eine wichtige Rolle bei der Befruchtung von Erntepflanzen, und ein Rückgang der Bienenpopulationen könnte die landwirtschaftliche Produktion erheblich beeinträchtigen. Seit 2003 werden schwerwiegende Populationsverluste unter europäischen Bienenvölkern gemeldet, doch kann das tatsächliche Ausmaß der Verluste aufgrund der bruchstückhaften Datenerfassung und der unterschiedlichen Überwachungsmethoden nur schwer abgeschätzt werden. Die Ursache des Völkersterbens ist unbekannt; zu den möglichen Ursachen zählen Unterernährung, Viren, Milben, Pestizidexposition und Klimawandel.
Im August 2008 hat die EFSA eine vorläufige Untersuchung zur Lage in Europa abgeschlossen, in der sie sich mit der Honigproduktion, chemischen Rückständen im Honig und den bestehenden Überwachungsprogrammen befasst hat. Der dazu vom EFSA-Referat für Bewertungsmethodik veröffentlichte Bericht stützt sich auf Informationen aus 22 europäischen Ländern. Das neue Projekt soll auf den Ergebnissen dieses Berichtes aufbauen.
Gemäß Artikel 36 ihrer Gründungsverordnung stellt die EFSA regelmäßig finanzielle Unterstützung für von den EU-Mitgliedstaaten benannte Partnerorganisationen bereit, damit diese der EFSA bei der Datenerhebung und anderen vorbereitenden Arbeiten für ihre Gutachten helfen oder wissenschaftliche und technische Unterstützung leisten. Der Gesamtbetrag der seit Programmbeginn im Jahr 2007 schon vereinbarten oder derzeit verhandelten 25 Finanzhilfen beläuft sich auf etwa 3,5 Mio. EUR.
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Bienensterblichkeit und -überwachung in Europa Häufig gestellte Fragen
Was bedeutet „Colony Collapse Disorder“ (CCD)?
Der Begriff „Colony Collapse Disorder” (Völkerkollaps) wurde erstmals 2006 benutzt, um das plötzliche Sterben erwachsener Bienen aus einem Bienenvolk (Bienenstock) zu beschreiben. In der Endphase des Kollapses ist die Bienenkönigin nur von wenigen neugeschlüpften erwachsenen Bienen umgeben, und es befindet sich keine tote erwachsene Biene mehr innerhalb oder in näherer Umgebung des Stocks. Jüngste Forschungen haben ergeben, dass in betroffenen Stöcken die Brut häufig abgekapselt wird (die Puppen werden von erwachsenen Bienen in Zellen eingeschlossen, um sie während ihrer futterlosen Zeit zu isolieren) und dass Futterreserven angelegt werden. Die unmittelbare Ursache des Sterbens ist demnach nicht klar.
Was sind die möglichen Ursachen für CCD?
Es ist davon auszugehen, dass es für CCD keine monokausale Ursache gibt, sondern eine Kombination mehrerer Faktoren zum Kollabieren von Bienenstöcken beiträgt. Beispielsweise sind Honigbienenvölker von einer Reihe von Parasiten, Bakterien oder Viren betroffen, die Krankheiten verursachen oder zu Bienensterben führen können, wobei besonders die Varroamilbe Anlass zu Besorgnis gibt. Ebenso gibt es Berichte von Vergiftungsfällen bei Bienen aufgrund der Verwendung von Neonicotinoiden (Insektiziden) als Pflanzenschutzmittel. Möglicherweise tragen auch andere Umwelteinflüsse wie lange feuchte Wetterabschnitte und fehlender Zugang zu geeigneten Futterpflanzen zu CCD bei. Beide Faktoren führen zum Verhungern von Bienen.
Handelt es sich bei CCD um ein neues Phänomen?
In der Literatur finden sich Hinweise darauf, dass das Massensterben von Bienenvölkern für die Bienenzuchtindustrie kein neues Phänomen darstellt, da viele der Symptome, die von CCD betroffene Völker aufweisen, bereits vorher beschrieben worden sind. Einer Studie der Pennsylvania State University zufolge stammen die frühesten Berichte bereits aus dem Jahre 1869, wobei die USA, Australien, Mexiko, Frankreich, Schweden und Deutschland zu den betroffenen Ländern gehörten. Das Sterben von Bienenvölkern wird in der Bienenzucht bis zu einem gewissen Maße als anerkanntes Risiko betrachtet, und es ist nicht ungewöhnlich, wenn Bienenstöcke mit geringer Lebensfähigkeit während der Winterperiode kollabieren. Es ist jedoch das beschriebene Ausmaß des jüngsten Massensterbens, das derzeit Anlass zur Besorgnis gibt.
Welche Auswirkungen hat der Rückgang der Bienenpopulationen?
Bienen spielen bei der Bestäubung von Kulturpflanzen, einschließlich der meisten in Europa produzierten Gemüsesorten, eine bedeutende Rolle. Daher könnte der Rückgang der Honigbienenpopulationen ernsthafte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion haben.
Weshalb ist die EFSA mit der Thematik befasst?
Die EFSA befasst sich nicht nur mit der Lebensmittelsicherheit an sich, sondern auch mit einer Reihe von damit zusammenhängenden Bereichen, wie der Gesundheit und dem Schutz von Tieren und Pflanzen. Darüber hinaus verfügt die EFSA über die Netzwerke, Erfahrungen und Sachkenntnis, die für das Erheben und Interpretieren von Daten aus einem breiten Spektrum von Quellen erforderlich sind, um nationale und europäische Entscheidungsträger dabei zu unterstützen, bei internationalen Problemen wie dem der CCD koordinierte Maßnahmen zu ergreifen.
Wie wurde der Bericht der EFSA über die Bienensterblichkeit und -überwachung erstellt und zu welchen Schlussfolgerungen gelangt er?
Im März 2008 bat die Französische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Agence Française de Sécurité des Aliments, AFSSA) die EFSA um Informationen über Rückstandswerte von Pflanzenschutzmitteln in Honig sowie über Programme zur Überwachung des Kollabierens, der Schwächung und der Sterblichkeit von Bienen. Zudem erbat sie Daten über die Honigproduktion in der EU. Über ihr Netzwerk der nationalen Kontaktstellen versandte die EFSA einen kurzen Fragebogen an die nationalen Behörden mit der Bitte um Übermittlung von Daten. Die aus 22 Mitgliedstaaten sowie aus Norwegen und aus der Schweiz eingegangenen Antworten bildeten die Grundlage für den Bericht über die Bienensterblichkeit und -überwachung in Europa , der im August 2008 vom EFSA-Referat für Bewertungsmethodik (Assessment Methodology Unit) veröffentlicht wurde.
Durch die Auswertung des Fragebogens konnten 17 Überwachungsprogramme in 16 Ländern ermittelt werden. Häufig werden diese Programme von Bienenzüchterverbänden oder -vereinigungen organisiert. Die Mortalitätsraten variierten den Angaben zufolge von 7 % bis 50 %. Italien meldete die höchste Mortalitätsrate: im Jahr 2007 starben zwischen 40 und 50 % des Bienenvölkerbestands. Die von den Überwachungsprogrammen ermittelten unterschiedlichen Ergebnisse sowie die für die Bewertung der Bienensterblichkeit angewendeten unterschiedlichen Methoden erschweren jedoch einen Vergleich der Mortalitätszahlen. Um die Ergebnisse des Berichts weiter analysieren und nutzen zu können, startete die EFSA gemäß Artikel 36 ihrer Gründungsverordnung einen Aufruf zum Einreichen von Vorschlägen für eine EU-weite Kollektivstudie zur CCD.
Welches Ziel verfolgt die von der EFSA in Auftrag gegebene Kollektivstudie zur CCD?
Die drei Hauptziele des Projekts sind erstens die Beschreibung und kritische Analyse der bestehenden Überwachungsprogramme; zweitens die Zusammenfassung von aus den bestehenden Überwachungsprogrammen gewonnenen Daten über das Kollabieren, die Schwächung und die Sterblichkeit von Bienenvölkern; und schließlich die kritische Durchsicht der wissenschaftlichen Literatur in Bezug auf die möglichen Ursachen des Bienenvölkersterbens. Der Abschlussbericht des 9-monatigen Projekts wird einen hilfreichen Beitrag für künftige Forschungs- und Überwachungsprogramme leisten, die sich auf EU-Ebene mit dem CCD-Phänomen befassen.
Wie läuft das Verfahren nach „Artikel 36“ ab?
Gemäß Artikel 36 der EFSA-Gründungsverordnung haben die EU-Mitgliedstaaten der EFSA ein Verzeichnis der zuständigen nationalen Organisationen übermittelt , die in der Lage sind, die EFSA in verschiedenen Bereichen ihrer Arbeit zu unterstützen. In diesem Verzeichnis aufgeführte Partnerorganisationen können für ihre Arbeit an spezifischen Projekten entweder einzeln oder als Gruppe Zuschüsse beantragen. In diesem besonderen Fall hat die EFSA einen finanziellen Zuschuss für ein internationales Konsortium von Forschungsinstituten gewährt. Eine Reihe von anderen interessierten Akteuren, die formell nicht zu dieser Gruppe gehören, wird sich jedoch ebenfalls an dem Projekt beteiligen.
Weiterführende Informationen:
[1] Federführendes Konsortialmitglied ist die Agence française de sécurité sanitaire des aliments (Afssa) in Zusammenarbeit mit dem britischen Central Science Laboratory (CSL) und dem französischen Institut national de la recherche agronomique (INRA). Außerdem beteiligen sich fünf weitere nationale Institute an diesem Projekt: Sveriges lantbruksuniversitet (Schweden), Instituto Zooprofilattico Sperimentale delle Venezie (Italien), das Zentrum für Bienenforschung (Schweiz), Kmetijski inštitut Slovenije (Slowenien) sowie das Chemische und Veterinär¬untersuchungsamt Freiburg (Deutschland). Die Sachverständigen dieser nationalen Institute sind als Mitglieder des COLOSS-Netzwerks an einem europäischen Projekt beteiligt, das sich um die Erklärung und Verhinderung der großen Populationsverluste bei Honigbienenvölkern bemüht.
[2] Der Begriff „CCD“ wurde 2006 geprägt, um die gravierenden Populationsverluste bei Bienenvölkern zu beschreiben, die durch ein rasches Verschwinden der erwachsenen Bienen aus einem Stock gekennzeichnet sind.
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